Homeoffice 1970
Meine erste Erinnerung an Versicherungen hat nichts mit Verträgen zu tun, sondern mit einem Geruch: Sonntagsbraten, mitten in der Woche.
Damals führte mein Vater seine Agentur in einer Ecke unseres Wohnzimmers – die legendäre „Wohnzimmeragentur“. Ein Schreibtisch aus Nussbaumfurnier, ein Telefon mit Gebührenzähler, ein lederner Chefsessel, dazu der Standard-Aktenschrank mit Schiebetüren. Mehr brauchte es nicht, um den Alltag einer Familie mit drei Kindern und den Beruf eines Versicherungsvertreters unter ein Dach zu bringen.
Heute weiß ich: Für meinen Vater war das Homeoffice ein Befreiungsschlag. Vorher hatte er bei der Allianz die klassische Laufbahn absolviert – vom Nebenberufsvertreter bis zum Oberinspektor – und sich täglich 20 Kilometer nach Düsseldorf gequält. Die Selbstständigkeit war sein Ausweg. Für uns Kinder hieß das: Er war unregelmäßig, manchmal unberechenbar, aber deutlich öfter zu Hause als die meisten Väter.
Besucher
Alle paar Monate kam ein Besucher ins Haus. Für mich als Kind waren es kleine Festtage – und zugleich ein Rätsel.
Mitten in der Woche roch es plötzlich nach Sonntagsbraten, und meine Eltern verhielten sich, als stünde etwas Besonderes bevor. Diese Mischung aus festlichem Essen und ungewohnter Stimmung irritierte mich jahrelang. Was dahintersteckte, verstand ich erst viel später.
Drei Dinge konnte ich damals schon registrieren:
  1. Der Herr trug fast dieselbe Kleidung wie mein Vater, wenn er das Haus verließ – dunkelblauer Zweireiher, weißes Hemd, Krawattennadel.
  1. Meine Eltern waren auffällig guter Dinge: Vater aufgedreht, Mutter schick, ohne ausgehen zu wollen.
  1. Und mitten in der Woche zog Bratenduft durchs Haus.
Fun Fact: An Sonntagen, wenn er keine Kunden besuchte, saß mein Vater meist im Trainingsanzug am Schreibtisch. Wir Kinder witzelten, er bevorzuge Sportarten, die man im Sitzen absolvieren konnte.
Die Gesichter der Besucher wechselten, doch Anzüge und Braten blieben gleich. Erst viel später verstand ich, was hinter dieser eigentümlichen Festtagsstimmung steckte.
Bewunderung
Ich hatte nie Gelegenheit, meinem Vater zu sagen, wie sehr ich ihn dafür bewunderte, dass er unsere Familie allein durch sein Schaffen ernährte.
Gefühlt war ständig jemand krank, manchmal gleich mehrere zugleich. Mein Vater selbst verbrachte zusammengerechnet über vier Jahre in Kliniken und Kuren. Trotzdem kümmerte er sich um Haushalt, Kunden und sogar um neue Aufträge.
Er kam nie müde nach Hause – im Gegenteil. Es war, als tanke er bei seinen Kunden Kraft. Später sagte er einmal zu mir: „Brauchst du ein paar schöne Stunden – geh zum Kunden!“ Er hatte Humor und glaubte fest daran, dass alles besser würde.
Bis meine Schwester starb. Danach war es, als sei in den Köpfen meiner Eltern das Licht ausgegangen. Sie waren monatelang wie gelähmt. Als Paar erholten sie sich nicht mehr. Später trennten sich meine Eltern und jeder für sich lenkte sich durch Arbeit ab – bis zur Rente.
Mein Sakko
Beruflich fanden mein Vater und ich keinen gemeinsamen Nenner. Er akzeptierte, dass ich nicht in seine Fußstapfen treten wollte – und ließ mich meinen Weg gehen. Ironischerweise tat ich es doch. Ich begann die Ausbildung zum Versicherungskaufmann, wurde später Führungskraft, stellte Verkäufer ein, warb Agenten an, bildete Kaufleute aus. Ich machte den Fachwirt – heute als Bachelor anerkannt – und wurde schließlich Verkaufs- und Kommunikationstrainer.
Als unsere Bezirksdirektion transformiert wurde, stieg ich in eine große Agentur ein. Sie war um ein Vielfaches größer und erfolgreicher, als mein Vater es sich je hätte träumen lassen. Aus Kunden Stammkunden zu machen war sechs Jahre lang mein Element, und dieses Sakko passte mir wie angegossen. Doch ich legte es immer wieder ab.
Apropos Sakko: Obwohl ich einige im Schrank habe, trage ich es heute nur noch selten. Bei Agenturbesuchen greife ich oft zu meinem Lieblingssakko – es ist dunkelblau. Vermutlich fällt das kaum jemandem auf, höchstens, dass es gut zu meinen Jeans passt. Für mich ist es jedoch eine stille Erinnerung an die Kleiderordnung bei der Allianz zu Zeiten meines Vaters. Damals waren nicht nur Anzüge vorgeschrieben, sondern sogar Frisuren geregelt und Bärte unerwünscht. Mein Vater trug dieses Outfit mit Stolz.
Doch immer wieder zog es mich in die Aus- und Weiterbildung, in die Begleitung anderer Karrieren. Oft wurde ich gefragt, warum ich nicht blieb – warum mich Coaching, Training und Beratung so sehr fesselten, dass ich alles andere dafür aufgab.
Was mich wirklich antreibt
Erst viel später – meine Eltern waren bereits beide verstorben – kam es mir allmählich zu Bewusstsein. Heute weiß ich es sicher:
Ich möchte andere in einer Weise unterstützen, wie es mir bei meinem Vater nie gelungen ist – ein großes Nachholbedürfnis. Denn ich hatte und habe immer noch das Gefühl, ihn beruflich ein Stück weit im Regen stehen gelassen zu haben. Das einzugestehen, fiel mir lange schwer. Es tat mir leid.
Und meine Dankbarkeit gegenüber all jenen, die ihn damals gestützt haben: Mein Vater war kein Mensch, dem Dankbarkeit leichtfiel. Also hole ich sie stellvertretend nach.
Mit Menschen zu arbeiten, die echte Beziehungen zu ihren Kunden pflegen – so wie mein Vater es tat – ist für mich der Inbegriff beruflicher Erfüllung.
Nicht zu vergessen sind die Spezialisten, Beauftragten, Direktions- und Geschäftsstellenleiter: die „Besucher im Anzug“, die so viel mehr sind. Nämlich wichtige Unterstützer. Sie helfen den Agenturen, dass das Geschäft läuft – auch in schwierigen Zeiten. Und manchmal sorgen sie sogar dafür, dass Unternehmer wie mein Vater selbst aus den tiefsten Tälern wieder herausfinden – und ihre Familien nicht in Not geraten.
Zum guten Schluss
Ich möchte, dass andere erfahren, wie wichtig ihre Arbeit ist – und sie darin stärken, andere bestmöglich zu unterstützen. Denn genau diese oft unsichtbare Arbeit hält vieles am Laufen. Und vielleicht entsteht dann wieder mitten in der Woche dieses besondere Gefühl von Festlichkeit. Vielleicht duftet es sogar irgendwo nach Sonntag, wenn sie am Mittwoch zu Besuch kommen.
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